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Architekten in der Region Stuttgart

lohrmannarchitekt:
Orten eine Bedeutung geben

In unserer neuen Serie „Außergewöhnliche Architektur” stellen wir Architekturbüros aus der Region Stuttgart
vor, die für besondere Architektur stehen und ausgezeichnet wurden. Beginnen wollen wir mit dem
Stuttgarter Büro „lohrmannarchitekt”.

 

Orte zu schaffen, die wesentlich sind, die große Ruhe haben, für Beständigkeit und innere Freiheit stehen, die den Menschen würdigen, so versteht Holger Lohrmann Architektur. Zusammen mit seiner Frau, Stefanie Larson, führt er das Stuttgarter Büro lohrmannarchitekt. Eine Architektur, die nicht zum Selbstzweck wird, die Sinnlichkeit und Materialität zurückholt. Das Büro arbeitet kontextgebunden und interdisziplinär. Gerade der dialogische Austausch mit seiner Frau, die unter anderem auch Psychologie studiert hat eröffnen ganz neue Perspektiven.
Das Bemühen und die Konzentration auf das Wesentliche und den Kontext der Aufgabe ist deutlich in der Stadtbibliothek Stuttgart zu spüren. Für das nach Entwürfen des koreanischen Architekten Eun Young Yi geschaffene Gebäude wurde von lohrmannarchitekt in Kooperation mit Totems Communication in einem 25-monatigen Prozess die Innenausgestaltung entworfen und umgesetzt. Nach einer Bedarfsanalyse und Konzeptphasen mit den Leitern der Themenebene stand das Ziel fest: eine hohe Aufenthaltsqualität in unterschiedlichen Zonen und Bereichen für eine vielfältige Nutzerschaft zu erreichen. Kein bloßes Lagern von Büchern und Medien, sondern ein Leben damit.
Betritt man die Bibliothek, erfüllt einen augenblicklich das Gefühl des Willkommens sein. Die Innenarchitektur und Möblierung führen die klar geometrische Struktur der Gebäudearchitektur fort und vermitteln zugleich eine freundliche Räumlichkeit der Offenheit und Ruhe. Das Regalsystem, eine Spezialanfertigung für diese Bibliothek, ist oberflächenbündig in die Wände eingelassen. Kundenterminals sind neben den Büchern und Medien in raumbestimmenden Regalen integriert. Daneben finden in speziellen Möbeln Sonderpräsentationen statt. Rückzugsbereiche wechseln sich mit Gemeinschafts- und Kommunikationszonen ab.

Das „Skriptorium“ im Foyer ist eine moderne Reminiszenz an den historischen Vorläufer des Bibliothekswesens in den mittelalterlichen Klöstern. Auf allen sieben Geschossen finden sich wie-
derkehrende Elemente: das „Studiolo“ als thematisch verdichtender Ort sowie Serviceeinrichtungen wie Infothek, Selbstverbucher, Computerplätze zur Recherche und das analoge Leitsystem, welches durch digitale Informationsstelen unterstützt wird.
Das Hellblau der gepolsterten Möbel orientiert sich an der CD-Farbe der Bibliothek, während die Ebene für Kinder ein lebendiges Grün erhalten hat.

Ausgezeichnet wurde das Projekt mit dem AIT Award „Public Buildings Interior“ 2012 und Bibliothek des Jahres 2013.

Bild 1: Stadtbibliothek Stuttgart, Bild 2: Stadtbibliothek Stuttgart, Galeriesaal mit Leitsystem

Fotos:Daniel Stauch; Victor S. Brigola

 

Im Weinberg am Kräherwald
Gerade mal fünf Meter Breite blieben dem Architekten Holger Lohrmann, um in exponierter Hanglage im Weinberg am Kräherwald sein Einfamilienhaus zu bauen: das war Zimmergröße. Und genau das war das Konzept. Nicht viel – aber von feinster Wohnlage.

Durch eine über vier Ebenen gestapelte, offene Einraumarchitektur wurde ein Raumkontinuum von unerwarteter Großzügigkeit geschaffen. Platz genug für eine Familie.
Eine auf jedem Geschoss präzise gesetzte Raumskulptur gliedert die Geschosse in Funktionsbereiche. Schiebetüren ermöglichen bei Bedarf intime Bereiche abzuschirmen. Die Räume sind sehr schlicht gehalten und überlassen den Materialien die Ästhetik.

Holz und Sichtbeton in unterschiedlicher Güte korrespondieren miteinander. Der rau geschalte und im Innenraum roh belassene Massivbau wird von einem sägerauen, hölzernen Mantel umhüllt, in welchen großformatige Verglasungen wie Intarsien flächenbündig eingefügt sind. So öffnen sie die Räume nach außen und machen den Blick frei zu einem exklusiven Blick über Stuttgart. „Natur spielt für uns immer eine ganz elementare Bedeutung, weil es unser Ziel ist, nicht nur Räume zu bauen, sondern Orte zu gestalten. Insofern sind Innen- und Außenwelten für uns immer gleichbedeutend“, beschreibt Holger Lohrmann die Herangehensweise seines Teams.
Auch das sinnliche Erfahren von Materialität und Handarbeit ist ihm bei seinen Projekten wichtig.

Bild 1: Haus im Weinberg am Kräherwald; Bild 2: die Schlafzonen schließen sich jeweils an die beiden Sanitärbereiche an; Bild 3: in der Dusche: kleinformatige Zementfliesen und klassisch englische Armatur als Kontrastpunkt zum Sichtbeton der Decke; Bild 4: der Hangaufzug für Lasten ist ein Modell, das im Weinbau verwendet wird; Bild 5: im Bad: auch hier stehen kleinformatige Zementfliesen  im Kontrast zum sichtbeton und Holz.

Foto 1: Zooey Braun; Foto 2-5: lohrmannarchitekt bda, Susanne Wegner

 

Die „Alte Kelter” in Kirchheim am Neckar
„Es liegt in meiner Natur, Projekte mit einer gewissen Portion Gelassenheit umzusetzen. Dazu gehört auch, Dinge einfach mal so zu lassen, wie sie sind, und ihrer Daseinsform auf diese Weise Wertschätzung entgegenzubringen“, so Holger Lohrmann. Nichts veranschaulicht dies mehr als die „Alte Kelter“ in Kirchheim am Neckar.

Hier finden bis heute die ortstypischen Weinfeste statt, dazu der Wochenmarkt und diverse Kulturveranstaltungen. Das Team um Holger Lohrmann folgte hier dem Prinzip des „geplanten Nichtplanens“. Dies meint, viel der historischen Strukturen zu bewahren und sich als Architekt zurückzunehmen. Nur in wenigen Punkten wurde eine moderne Intervention umgesetzt, die dem Raum dann eine feierliche Atmosphäre gab, die er bis dahin nicht hatte. Dabei ist die moderne Intervention weniger Kontrast zum Vorhandenen. Ziel war es eine neue EEinheit zu schaffen, die ein neues Kapitel, eine neue Schicht in der architektonischen Erzählung bildet, die dem Raum seine Bedeutung verleiht.

Das Projekt „Alte Kelter“ macht deutlich: Ort und Kontext beeinflussen die Neugestaltung.

Fotos: Volker Schrank

 

„Auf der Sauhalde” in Stuttgart
Bei lohrmannarchitekt wird Nachhaltigkeit nicht nur als Trend-Thema gesehen, sondern als Selbstverständlichkeit betrachtet. „Auf der Sauhalde“ in Stuttgart eröffnet sich ein großartiger Stadtblick.
Auflage war es, auf diesem idyllischen Grundstück einen Ort zu schaffen, der wie selbstverständlich wirkt, Gelassenheit ausstrahlt und sich zurückhaltend in die ländliche Umgebung der Streuobstwiesen einfügt. Eine Bedingung dabei war, das Bestandsgebäude bei der Umplanung mit einzubeziehen – Herausforderung und Chance zugleich.
Für das Team drängte sich beim Entwurf rasch ein Baukörper auf, welcher die Attribute der einfachen, bäuerlichen Architekturen „Auf der Sauhalde“ thematisiert. Das Untergeschoss konnte erhalten werden und bildet den Sockel für einen zweigeschossigen hölzernen Aufbau.
Dem Wunsch, nachwachsende Rohstoffe zu verwenden, wurde entsprochen: Wände und Decken sind Holzkonstruktionen, die Fassadenbekleidung besteht aus Douglasie, die Innenwand- und Deckenbekleidung aus Weißtanne. Die außen verwendeten Materialen übernehmen analog die Baustoffeder ortstypischen Bauernhäuser und -Schuppen. So wurde der traditionelle Kellenwurfputz am Sockel angewendet und das Dach mit Biberschwanzziegeln gedeckt.

Der von Streuobstwiesen umringte Hang mit seiner Steillage war zugleich aber auch die größte Herausforderung. Die üblichen Baustellenfahrzeuge konnten hier nicht arbeiten. So mündete das Ganze in eine Art „archaischem Bauen“. Es wurde viel händisch gearbeitet, das Gebäude musste dementsprechend gedacht und konstruiert werden. Zimmerleute mussten wie vor 100 Jahren aufrichten und an manchen Stellen wurde mit dem Eimer betoniert, weil die Pumpe dem topologischen Höhenunterschied nicht gewachsen war.
Das Bauvorhaben konnte nur durch eine „Extra-Portion Gelassenheit“, wie Holger Lohrmann es nennt, bewerkstelligt werden.

Seine Großzügigkeit erhält das Haus durch die offene Raumstruktur, die vertikalen, geschossübergreifenden Blickbeziehungen sowie durch die großflächigen Giebelverglasungen.
Rauer Sichtbeton im Kontrast zu hellem Tannenholz erzählen von der Einfachheit der Elemente und geben dem Raum eine starke Materialität.
„Wir denken, dass wenn man Materialien ihre Lebensspuren lässt und ihre Patina-Fähigkeit direkt in den Entwurfsprozess mit einbindet, Räume in Würde altern und Bedeutung erhalten. Betrachtet man Räume, Gebäude und Materialien im längeren Kontext, werden sie mit Geschichten und Energien aufgeladen“, davon ist Holger Lohrmann überzeugt. Er glaubt fest an die Sinnlichkeit von Architektur.
Er will mit seinem Team Gebäude schaffen, die sich einfügen: in unsere Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – und durch deren Fenster die Abendsonne scheint.

© Autor: Klaus Bossert

Bild 1: Panoramblick „Auf der Sauhalde” in Stuttgart; Bild 2: dieses Bestandsgebäude sollte bei der Umplanung mit einbezogen werden; Bild 3: der Essbereich ist geprägt durch den Materialkontrast von rauem Sichtbeton zu hellem Tannenholz; Bild 4: das Untergeschoss konnte erhalten werden und bildet den Sockel für den hölzernen Aufbau; Bild 5: der Innenausbau ganz in Holz.

Fotos: Volker Schrank

 

 

 

Stefanie Larson, M. A.,
Geschäftsführerin
lohrmannarchitekt

Holger Lohrmann, Architekt BDA,
Gründer und Geschäftsführer
lohrmannarchitekt

www.lohrmannarchitekt.de