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„Unter dem Hashtag #jetztklimachen haben wir Klimaschutz zum Stadtgespräch gemacht“

Interview mit Jan Kohlmeyer,
Leiter der Stabsstelle Klimaschutz der Stadt Stuttgart

Die Landeshauptstadt hat vor rund zwei Jahren die neue Stabsstelle Klimaschutz eingerichtet, die das Aktionsprogramm Klimaschutz koordiniert und steuert. Jan Kohlmeyer hat am 1. Juli 2020 die Leitung der Stabsstelle übernommen. Mit ihm gewann die Stadt einen erfolgreichen Manager mit breiter Erfahrung in Klimaschutz und Energiewende.
Der 42-jährige Familienvater, der seit zehn Jahren in Stuttgart lebt, hat zuvor mehr als zehn Jahre lang die Energie- und Verkehrswende in Unternehmen vorangebracht. Über sieben Jahre lang war der Diplom-Physiker als Mitglied der Geschäftsleitung bei den Stadtwerken Böblingen tätig, wo sein thematischer Schwerpunkt im Bereich der Strom-, Wärme- und Verkehrswende lag. Zuvor war er Geschäftsführer der Stadtwerke Pulheim bei Köln.

Jan Kohlmeyer
Leiter der Stabsstelle Klimaschutz der Stadt Stuttgart

Foto: Pressefoto Kraufmann

Herr Kohlmeyer, Sie haben am 1. Juli 2020 die Leitung der neuen Stabsstelle Klimaschutz der Stadt Stuttgart
übernommen. Welche Themenfelder liegen in Ihrem Verantwortungsbereich?
Unsere Stabsstelle koordiniert das 200 Millionen Euro starke Klima-Aktionsprogramm der Stadt Stuttgart. Das Stuttgarter Klima‐Aktionsprogramm enthält über 50 Maßnahmen, mit denen wir das Klima schützen und das Leben in der Stadt verbessern.
Außerdem verantworten wir den inzwischen 13 Millionen Euro starken Stuttgarter Klima-Innovationsfonds. Das ist der europaweit größte kommunale Innovationsfonds fürs Klima. Start-ups, größere Unternehmen und Hochschulen können sich ebenso wie Initiativen aus der Zivilgesellschaft auf die Fördertöpfe bewerben. So setzen wir gemeinsam innovative Ideen in Stuttgart um.
Des Weiteren liegt die Steuerung der Klima-Kommunikation in den Händen unserer Stabsstelle Klimaschutz. Diese Aufgabe ist besonders vielfältig und bringt uns in Zeitungen, zu Podcasts und aufs Podium bei vielen Veranstaltungen. Das ist aber – wie sich schnell gezeigt hat – nur der Anfang von vielen weiteren Projekten.

 

Welche Projekte konnten Sie seither anstoßen?
Wir haben angestoßen, dass das Klima-Aktionsprogramm aktualisiert wird. Derzeit entwickeln wir es zusammen mit der Unternehmensberatung McKinsey zu einem Klima-Fahrplan 2035 weiter. Die zentrale Frage dabei ist, wie Stuttgart die Treibhausgasemissionen bis 2035 auf netto Null reduzieren kann. Das ist eine große Herausforderung und ein ambitionierter Weg, auf dem Stuttgart noch lebenswerter und leistungsfähiger wird.
Da steckt so viel heimische Technologie, Kompetenz und Wertschöpfung drin. Unser Klima-Fahrplan soll wie ein zielgerichtetes Konjunkturprogramm wirken – für die Unternehmen, das Handwerk und unsere ganze Stadt. So machen wir Stuttgart fit für die neue Welt, holen wichtige Investitionen in die Stadt und sichern die Souveränität und Kraft des Standorts.
Den Stuttgarter Klima-Innovationsfonds haben wir erfolgreich etabliert und fördern bereits viele Ideen, die CO2-Emissionen reduzieren. Jetzt haben wir das Budget um weitere 3 Millionen Euro erhöht – und dabei rund 1 Million Euro externe Finanzierung der Naturschutzorganisation TNC nach Stuttgart geholt. Zusammen haben wir eine Förderlinie gestartet, die Hitzestress und Starkregen in den Blick nimmt. Denn im Vergleich zum Umland ist die Luft in Städten sowieso durchschnittlich ein bis drei Grad wärmer und die Situation in Städten wird sich mit der Erderhitzung weiter zuspitzen. Hier helfen uns innovative Projekte, um die Lebensqualität in Stuttgart zu sichern.
Wir haben zudem dieses Jahr den Auftakt für die Kampagne #jetztklimachen organisiert, an der sich Dutzende große Organisationen von der Kreishandwerkerschaft über die BW-Bank bis zum VfB Stuttgart beteiligt haben. Beim Klimaschutz hat sich so eine große Community gebildet, die weit in die Wirtschaft und Stadtgesellschaft hineinreicht. Für die innovative digitale Klima-Kommunikation haben wir rund 400.000 Euro Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung eingeworben, nachdem eine Jury des Baden-Württembergischen Umweltministeriums unseren Ansatz als Musterprojekt ausgewählt hat.
Zuletzt haben wir viele weitere Aufgaben übernommen, zum Beispiel Konzepte für drei große Bereiche auszuarbeiten: Erstens, wie wir Freude daran bekommen, uns gesünder und klima-freundlicher zu ernähren. Zweitens, wie es Stuttgart gelingt, Materialien länger und mehrfach zu verwenden, anstatt weiterhin so viele Verbundmaterialien nach dem Gebrauch wegzuschmeißen. Drittens verantworten wir ein neues Format der Bürgerbeteiligung, nämlich wie ein Bürgerrat Klima der Stadt einen guten und gesellschaftlich akzeptanzfähigen Weg in die Zukunft aufzeigt.

 

Sind Sie zufrieden mit den Fortschritten? Wo liegen Stolpersteine?
Vieles ging wirklich sehr schnell voran, häufig schneller als gedacht. Wir sind sehr erfreut, welche Dynamik sich entwickelt hat. Das macht richtig Freude. Stolpersteine gibt es natürlich immer, aber das macht jeden Job spannend und treibt uns an, noch besser zu werden: besser zu erklären, worum es uns geht und warum es so wichtig ist, jetzt etwas fürs Klima zu machen. So finden wir im Dialog gute gemeinsame Lösungen.

 

Gerade unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs haben die klassischen Energiethemen wie Strom, Wärme und
Gebäudeeffizienz an zusätzlicher Bedeutung gewonnen.
Wie kann die Stadt Stuttgart hier helfen?
Viele Menschen fragen uns: Was kann ich tun, um weniger Geld für fossile Energie auszugeben – beim Strom, bei der Wärme und für Benzin? Das bewegt die Menschen sehr.
Für das Thema Gebäudesanierung können sie sich für einen eigenen Newsletter anmelden. Persönliche Beratung gibt es im Energieberatungszentrum Stuttgart. Und die Stadt bietet darüber hinaus viele Fördermittel, zum Beispiel das Energiesparprogramm, die Solaroffensive und die Förderungen der Stuttgarter Wärmeoffensive. So können Menschen mit ihrer Immobilie jetzt einen Beitrag für eine sichere Zukunft leisten.
Auch der Umstieg auf Elektromobilität ist leichter als viele denken. Ganz abgesehen davon, dass ich mein Auto am liebsten stehen lasse und zu Fuß gehe. Denn wenn einem das Stadtviertel kurze Wege bietet, genieße ich die Bewegung sehr.

 

Die Stadt Stuttgart hat unlängst die Klimaschutzkampagne „JetztKlimachen!“ gestartet.
Was ist darunter zu verstehen?
Unter dem Hashtag #jetztklimachen haben wir Klimaschutz zum Stadtgespräch gemacht – gemeinsam mit vielen Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Sport. Die Frage dabei lautet: Wer leistet mit welchen Maßnahmen einen Beitrag zum Klimaschutz und wer fordert wen auf, aktiv zu werden? Diese Fragen haben wir zusammen mit vielen anderen im Stadtbild beantwortet, zum Beispiel auf weit über 400 öffentlichen Flächen, von City Light Postern, Verteilerkästen und Bauzäunen über Infoscreens im ÖPNV und Brückenbannern bis zu prominenten Flächen an Gebäuden namhafter Organisationen.

 

Wie ist die Kampagne in der Bevölkerung angekommen?
Auf Social Media wurden die über 400 Beiträge und Videos viele Zehntausend Mal geliked, Posts hundertfach geteilt, und über die Kampagne haben wir – vor allem über die Partnerschaften mit insgesamt über 2 Millionen Followern – eine große Sichtbarkeit erreicht. Das ist wichtig, um dem Klimaschutz Aufmerksamkeit zu verschaffen und ihn in die Mitte unseres Lebens zu holen. Der Klimawandel ist nämlich viel mehr als ein Umweltproblem: Klimaschutz ist von entscheidender Bedeutung für die Gesundheit der Menschen, für die Wirtschaft, für Genuss und Lebensqualität – also für so viele Themen, die für die Menschen wichtig sind.

 

Wenn Sie einen Wunsch an die große Politik hätten, wie sähe der aus?
Ich wünsche mir von der Bundespolitik mehr Mut, groß und positiv zu denken. Dafür ist jetzt die Zeit. Unsere Wirtschaft ist stabiler, wenn wir Energie sicher und intelligent vor Ort erzeugen. Erneuerbare Energie können wir im Überfluss herstellen und sie ist heute günstiger als alle anderen Kraftwerkstechnologien. Moderne Mobilität kann unsere Probleme der Gegenwart zur Vergangenheit werden lassen. Wir können länger, fitter und zufriedener leben, wenn wir gesund und klimafreundlich essen. Wir alle können Stuttgart noch lebenswerter machen, indem wir gemeinsam Raum schaffen für Schatten spendende Bäume, für begrünte Balkone und einladende Innenhöfe. Diese Aufgaben bringen uns alle zusammen und stärken unseren Zusammenhalt. Viele mittelständische, kleine und größere Unternehmen gehen voran. Daran kann sich die Bundespolitik ein Beispiel nehmen. Denn wir brauchen mehr Tatendrang und Teamgeist – und ein Verlangen nach einer lebenswerten Zukunft für alle.

Die Fragen stellte Karl Gutbrod

Vision einer begrünten Stadt Stuttgart

Visualisierung: Reinventing Society/Wire Collective (CC-BY-NC-SA 4.0)

Fassadenbegrünung in Stuttgart

Foto: Stadt Stuttgart