Quartiersentwicklung Eiermann-Areal
Architekturgeschichte trifft Lebensqualität
Wie steht es eigentlich um Stuttgarts zweitgrößtem geplanten Wohnquartier nach dem Rosensteinviertel? Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, an dem erneut Baugeschichte geschrieben werden soll: Ende der 60er-Jahre vom Stararchitekten Egon Eiermann entworfen und bis 2009 vom Weltkonzern IBM als Headquarter genutzt, liegt das sogenannte Eiermann-Campus seitdem im Dornröschenschlaf. Auf dem Areal in Vaihingen soll ein lebendiges, urbanes Stadtquartier entstehen, das insbesondere auch im Hinblick auf Mobilität und Lärmschutz zu einem Vorzeigeprojekt in der Landeshauptstadt Stuttgart entwickelt werden soll.
Die vier denkmalgeschützten Gebäude genießen eine sehr hohe kulturhistorische Wertschätzung und sollen im Rahmen des künftigen Entwicklungskonzepts erhalten bleiben.
Das zu erarbeitende Konzept soll auf die herausragende Bedeutung dieser Gebäude in angemessener Form reagieren.
Das neue Quartier steht dabei für ein Viertel, das von außergewöhnlicher Architektur geprägt und für seine künftigen Bewohner besonders lebenswert ist – unter anderem sind neben großzügigen Freiflächen auch Plätze mit hoher Aufenthaltsqualität eingeplant.
Im Oktober 2015 hat die GERCHGROUP das Areal erworben. In einer beispielhaften Kombination (Ping-Pong-Verfahren) aus Bürgerbeteiligung, städtebaulichem Wettbewerb und Baurechtschaffung wurde das Konzept für den Garden Campus Vaihingen entwickelt, welches dann im Zuge eines Bebauungsplanverfahrens gemeinsam mit der Stadt Stuttgart überarbeitet und optimiert wird.
Zwei Jahre später übernahm die schweizerische SSN-Group, die noch im gleichen Jahr von der Consus Real Estate geschluckt wurde. Mit dem Berliner Projektentwickler und seinen Stuttgarter Statthaltern wähnte sich die Stadt endlich auf einem guten und beständigen Weg zu einem neuen Stadtquartier.
Bild 1: Der Architekt und Designer Egon Eiermann (*29.09.1904 / †19.07.1970) und /Bild 2 ) sein Modell des IBM Headquarter Deutschland; Bild 3: Außenansicht; Bild 4: Empfangsbereich, IBM Headquarter Deutschland, 1969; Bild 5: das Eiermann-Areal an der A8 und A81 mit „Schleifenhaus“ am Autobahndreieck; Bild 5: IBM Headquarter Deutschland, Fassade
Fotos: Egon-Eiermann-Gesellschaft; Eberhard Troeger; Visualisierung: Steidle Architekten
Der Siegerentwurf des städtebaulichen Gutachterverfahrens stammt von Steidle Architekten und Realgrün Landschaftsarchitekten. Auf Basis dieses Entwurfs wurde das weitere Bebauungsplanverfahren vorangetrieben.
Zentrales Element im Siegerentwurf des Münchner Architekturbüros ist eine markante Konstruktion: Ein 450 Meter langer Gebäuderiegel mit Wohnungen, der den Lärm von der Autobahn schluckt. Ein urbanes Stadtviertel mit viel Wohnraum, überall großzügige Freiflächen und Aufenthaltsplätze sollte entstehen.
Mit 16:1 Stimmen hatte sich das Preisgericht Ende 2016 für das Modell entschieden, das bei dieser Gelegenheit von vielen Seiten gelobt wurde. Der Campus werde endlich wieder wachgeküsst, betonte etwa Stuttgarts Baubürgermeister Peter Pätzold. Es zeichne sich ein modernes Stadtquartier ab, das als Ganzes funktionsfähig sei. Ganz besonders angetan war Pätzold von dem bewohnbaren Lärmschutzriegel,
wegen der gewundenen Form auch „Schleifenhaus“ genannt, der ein „wahrlich herausragender“ Entwurf sei. Das Architekturbüro habe damit auf innovative Weise „einen Problemlöser in ein Gestaltungselement umgewandelt“. Und auch der Jury-Vorsitzende und Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, Markus Müller, lobte den gekürten Vorschlag insbesondere mit Blick auf das Schleifenhaus.
Im Entwurf platzieren die Architekten den 450 Meter langen Gebäudekomplex so geschickt zwischen den Autobahnen auf der einen und den Kulturdenkmalen auf der anderen Seite, dass am Ende kaum noch etwas vom Dauerrauschen der vielbefahrenen Autobahn bleiben wird. Dafür sorgt eine durchgehende Glaswand am Schleifenhaus, die den Schall von den Fernstraßen schluckt. Direkt dahinter sind Laubengänge geplant, die zu den jeweiligen Wohnungen führen. Die Wohnräume selbst sind allesamt zur Mitte des Areals ausgerichtet. Dieser Kunstgriff schaffe „einen Mehrwert für die gesamten Flächen“ hinter dem Lärmschutzriegel, so Pätzold.
Sieger-Entwurf des neuen Eiermann-Areal von Steidle Architekten und Realgrün Landschaftsarchitekten
Visualisierung: Steidle Architekten
Gleichzeitig sieht der Entwurf der Architekten eine urbane und dichte Bebauung von Vierteln mit betont städtischer Anmutung vor. Die Quartiere sollen nach außen geschlossen wirken, nach innen aber großzügige Aufenthaltsflächen und Plätze bieten. So ist beispielsweise zwischen den denkmalgeschützten Bauten von Egon Eiermann und der Neubebauung, ein etwa 50 Meter hohes Punkthaus mit Apartments, ein parkartiger Platz mit See vorgesehen.
Doch im Rathaus ist man inzwischen besorgt, dass das ganze Projekt nun platzen könnte. Denn 2020 wurde die Consus wiederum von dem auf Wohnungsbau spezialisierten luxemburgischen Immobilienkonzern Adler geschluckt, über den sich in letzter Zeit die Negativschlagzeilen mehren. Bundesweit soll Adler bei Bauprojekten etwa in Düsseldorf, Hamburg, und Berlin im Verzug sein und muss
offenbar 14 .000 der 70 .000 Wohnungen aus seinem Portfolio verkaufen, um Schulden abzubauen.
Die „Wirtschaftswoche“ spricht von „Bau im Schneckentempo“ und die Hessenschau von „Luftschlössern“. Das Handelsblatt berichtete von harter Kritik am Management der Adler-Gruppe von Seiten der von Investoren. Die Rede war von Missmanagement, Manipulation und sogar von Betrug. Zudem soll es auch bei Conus Zahlungsschwierigkeiten gegeben haben: Demnach seien dort seit Frühjahr 2021 unbezahlte Rechnungen von Handwerkern, Architekten und Bauunternehmen im Umfang von 80 Millionen Euro aufgelaufen, so berichtete die „Wirtschaftswoche“.
Momentan wird geprüft das Areal zur Unterbringung von Flüchtlingen aus der Ukraine zu nutzen. Dabei wird auch überlegt, ob auf dem Gelände zusätzliche Behelfsbauten aufgestellt werden können.
Wegen seiner isolierten Lage am Rande von Vaihingen und der Nähe zur Autobahn A8 und A81 wird das Areal im Gemeinderat jedoch nicht von allen für ideal angesehen.
© Autor: Klaus Bossert