„Außergewöhnliche Projektgrößen“ in Böblingen –
„Es liegt noch viel Arbeit
vor uns“
Interview mit Dr. Stefan Belz,
Oberbürgermeister von Böblingen
Die rund 50.000 Einwohner zählende Stadt Böblingen gehört zu den wichtigsten Industriestandorten Deutschlands. Viele namhafte Unternehmen tragen mit ihren Produkten und Dienstleistungen wesentlich zum weltweiten Fortschritt bei. An der Spitze der Stadtverwaltung steht Oberbürgermeister Dr. Stefan Belz.
Das Stadtoberhaupt wurde 1980 in Böblingen geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1999 am Stiftsgymnasium in Sindelfingen und dem anschließenden Zivildienst studierte er Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart mit Abschluss als Diplom-Ingenieur. Nahtlos ging es mit der Promotion an selbiger Universität am Institut für Raumfahrtsysteme weiter. Neben der wissenschaftlichen Tätigkeit als Doktorand nahm Dr. Stefan Belz bis 2018 Aufgaben im Projektmanagement (Akquise, Leitung, Bearbeitung) wahr.
Seinen politischen Werdegang begann er im Jahr 2011 mit dem Eintritt in die Partei Bündnis 90/Die Grünen. Durch sein organisatorisches und kommunikatives Geschick engagierte er sich schnell als Sprecher des Ortsverbandes Böblingen/Schönbuch und danach als Beisitzer des Vorstandes. Im Jahr 2014 wurde er mit dem zweitstärksten Ergebnis der Fraktion in den Gemeinderat gewählt und war dort bis zu seiner Wahl zum Oberbürgermeister auch Fraktionsgeschäftsführer.
Stadtansicht Böblingen: Schloßberg und Oberer See
Foto: Stadt Böblingen/Benjamin Knoblauch
Herr Dr. Belz, die Stadt Böblingen verfügt mit dem „Flugfeld“, einem etwa 80 Hektar großen, ehemaligen Flughafengelände, das zu einem Drittel auf Sindelfinger und zu zwei Drittel auf Böblinger Gemarkung liegt, über das größte Bauprojekt in der Region Stuttgart.
Wie ist es dazu gekommen?
Im Jahr 1992 verließen die US-Streitkräfte das Gelände des ehemaligen Flughafengeländes. Das Areal befand sich im Eigentum des Bundes, genauer der Bundesvermögensverwaltung, und lag größtenteils ungenutzt brach.
Beide Städte Böblingen und Sindelfingen erkannten die großartigen Chancen einer wirtschaftlichen und städtebaulichen Entwicklung. Um diese Konversion in die Wege zu leiten, beschlossen beide Kommunen im Sommer 2001 die Entwicklung des Geländes in eigener Regie zu betreiben. Sie gründeten im Mai 2002 den Zweckverband Flugfeld Böblingen/Sindelfingen.
Im Dezember 2002 erwarb der Zweckverband Flugfeld das ehemalige Flughafengelände. Somit war der Weg frei für die Beplanung, Sanierung, Erschließung und Vermarktung des neuen gemeinsamen Stadtteils Flugfeld.
Was soll dort alles entstehen?
Die Städte verfolgen das Ziel, Wohnen, Leben und Arbeiten für Menschen ideal zu verbinden. Auf dem Areal des ehemaligen Landesflughafens von Württemberg entsteht seit 2002 ein modernes, interkommunales Stadtquartier. Mit einer vielversprechenden Mischnutzung von Wohnbau und Gewerbe wird für das Flugfeld gezielt eine städtebauliche Entwicklung umgesetzt, die Wohnen, Arbeiten und Freizeitmöglichkeiten nachhaltig verbindet.
Vor 13 Jahren zogen die ersten Bewohner*innen auf das Flugfeld; zudem haben sich bereits viele Unternehmen angesiedelt. Im Jahr 2021 waren ca. 3.100 Einwohner*innen gemeldet, mehr als 2.700 Menschen arbeiten mittlerweile bei einem der vielen attraktiven Unternehmen auf dem Flugfeld.
Ziel ist es, dass auf dem Flugfeld ca. 7.000 Arbeitsplätze sowie Wohnraum für ca. 4.000 Einwohner*innen in den nächsten Jahren bereitstehen.
Wie ist der aktuelle Stand?
Ob Bewohnerin und Arbeitnehmer, ob Unternehmerin und Investoren: Die Menschen schätzen die gelungene Verbindung von Wohnen und Arbeiten auf dem Flugfeld. Geschätzt wird vor allem auch die Kombination mit einer modernen Infrastruktur und einer hohen Aufenthaltsqualität rund um die Grüne Mitte und den Langen See.
Alle zusammen gestalten den ehemaligen Flughafen mit und machen ihn immer mehr zum modernen, in vielerlei Hinsicht lebenswerten Stadtquartier. Von dem ehemals brachliegenden, ungenutzten Areal ist heute nichts mehr zu spüren. Es war jedoch wichtig, an die Geschichte des Württembergischen Landesflughafens zu erinnern. Die ehemaligen Flughafengebäude wurden umgestaltet und werden weiter genutzt. Das neue, inzwischen gut etablierte Stadtquartier wird in den nächsten Jahren weiter wachsen und sich entwickeln.
Rund 80 Prozent der Grundstücke sind bereits verkauft oder reserviert. Baugrundstücke, auf denen Wohngebäude entstehen können, stehen nur noch entlang der Seeuferpromenade zur Verfügung. Für Gewerbegebäude stehen nur noch wenige Grundstücke zur Verfügung.
Wie sehen die Rahmenbedingungen aus?
Die Rahmenbedingungen sind optimal: Auf dem Flugfeld Böblingen/Sindelfingen siedeln sich innovative, technisch voranschreitende und zukunftsorientierte Unternehmen an. Die Vorteile des Standorts sprechen für sich: eine starke Infrastruktur kombiniert mit der Nähe zu den Innenstädten Böblingen und Sindelfingen. Die zentrale Lage bedeutet sehr gute Anbindung und Erreichbarkeit. Für die wenigen noch verfügbaren Baufelder werden Unternehmen gesucht, die das wirtschaftliche Umfeld weiter stärken.
Das Flugfeld muss als urbaner Stadtteil verstanden werden. Er verfügt über eine attraktive, moderne Umgebung: S-Bahn, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten sind zu Fuß erreichbar. Neben bester Anbindung an den Bahnhof Böblingen und die Autobahn 81 bietet das Flugfeld eine modern gestaltete Wohnbebauung und weitläufige Grünanlagen. Im Zentrum der Grünen Mitte befindet sich der „Lange See“, eine schöne Joggingstrecke sowie zahlreiche Sport- und Spielflächen und vielfältige Freizeitangebote. Drei Kindertagesstätten, zwei berufliche Schulen, ein Gesundheitszentrum sowie ein Pflege- und Seniorenzentrum runden das soziale Angebot im Stadtquartier ab. Direkt entlang des Langen Sees entsteht aktuell die Seeuferpromenade mit weiteren Wohngebäuden, Büro- und Gastronomieflächen und in der Parkstadt West das Flugfeldklinikum.
Es liegt noch einige Arbeit vor uns. Im Zuge der Ertüchtigung der A 81 wird die Mittelinsel an der Flugfeld-Allee umgebaut, die Anschlüsse für die sogenannte Querspange vorbereitet und anschließend gebaut. Die Seeuferpromenade schreitet in ihrer Entwicklung weiter voran. Das „Campus-Areal“ wird nach Fertigstellung des Autobahnausbaus in die Entwicklung gehen.
Wo liegen die meisten Stolpersteine?
Das sind die hohen Investitionskosten in die Infrastruktur zu Beginn des Konversionsprojekts. Der gesamte Boden musste aufwändig von Schadstoffen befreit werden. Mitte der 2000er-Jahre war zudem die Vermarktungslage sehr unsicher aufgrund der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Auf alle Herausforderungen haben die Städte stets gute Lösungen entwickelt – das hieß aber auch, Durchhaltevermögen zu beweisen. Die Entwicklung des Flugfeldes ist eine außergewöhnliche Projektgröße mit vielen Beteiligten und dadurch bedingte Ziel- und Interessenskonflikte, die wir schrittweise abarbeiten.
In Böblingen entsteht in den nächsten Jahren auf dem rund 14 Hektar großen IBM-Areal ein weiteres, städtebauliches Großprojekt.
Was ist dort geplant?
Das Forschungs- und Entwicklungslabor der IBM wird voraussichtlich Ende 2023 wegziehen. An der südlichen Gemarkungsgrenze von Böblingen eröffnen sich hier wertvolle Potenziale für eine innovative Stadtentwicklung.
Neuer Wohnraum soll entstehen mit guten sozialen und gewerblichen Versorgungsangeboten, die auf dem Neubauareal geplant sind. Darin sehe ich Vorteile für viele – für neu zuziehende Menschen, aber gerade auch für die bisherigen Bewohner*innen der benachbarten Waldsiedlung Rauher Kapf.
Wie sieht es allgemein in Böblingen mit dem Angebot an Wohnbau- und Gewerbeflächen aus?
In der Stadt sind einige große Gewerbeareale vorhanden, allen voran die Hulb und das Flugfeld. Ergänzend dazu gibt es in der Stadt kleinere Gewerbegebietslagen. Aufgrund der hohen Attraktivität unseres Standorts sind fast alle Gewerbebauflächen bereits aufgesiedelt oder befinden sich zum Teil bereits in einer Revitalisierungsphase. Im Bestand finden Unternehmen Büroflächen, einzelne Einzelhandelsflächen und Flächen für Dienstleistungen.
Aufgrund der konsequenten Konzentration auf die Innenentwicklung ist das Angebot an Gewerbebauland überschaubar. Dies hat zur Folge, dass sowohl die Stadt als auch die Immobilieneigentümer sich auf die weitere Entwicklung von Bestandsflächen als Aufgabe annehmen müssen. Hier ist es uns besonders wichtig, bestehende und geeignete Gewerbegebietsbereiche zu erhalten und eine zukunftsfähige Weiterentwicklung zu unterstützen. Neben dem Angebot an attraktiven Arbeits- und Ausbildungsplätzen spielen hier Kriterien wie Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Attraktivität der erbrachten Leistung und weitere Parameter eine Rolle.
In Böblingen wird viel gebaut. Im gewerblichen, aber auch stark im Wohnungsbereich. Gerade in unserer Innenstadt werden mehrere Objekte fast gleichzeitig gebaut und weitere sind in Planung. Ein starker Zuwachs an Wohnungen in gut gelegener, zentraler Innenstadtlage ist absehbar. Nicht zu vergessen ist die Schaffung eines neuen Stadtteils auf dem Flugfeld, auf dem in den vergangenen Jahren ca. 3.000 Menschen ein neues Zuhause gefunden haben.
Was ist Ihre persönliche Einschätzung:
Wie gut oder schlecht kommt die Stadt Böblingen durch die aktuelle Krise?
Die Stadt Böblingen zeichnet sich durch eine engagierte und vielfältige Bürgerschaft aus. Krisen können nur gemeinsam bewältigt werden, und so ist es wichtig, dass wir mit hauptamtlichen Strukturen seitens der Stadtverwaltung die bestehenden Ehrenamtsstrukturen im Stadtleben unterstützen. Hier möchte ich ausdrücklich unsere zahlreichen Vereine und Initiativen lobend erwähnen, die einen klasse Job in unserer Stadt machen. Dieses Engagement gepaart mit klugen Köpfen in der Stadtgesellschaft schafft eine hervorragende Grundlage für Beratungen mit dem Gemeinderat, um so wirksame Beschlüsse zu fassen. Aufgrund unserer vielfältigen, bunten und engagierten Stadtgesellschaft entwickeln wir rasch Lösungen auf anstehende Herausforderungen, die durch Krisen wie Corona oder notwendige Unterstützung für Geflüchtete ausgelöst werden. Das meine ich sowohl im sozialen als auch im wirtschaftlichen Kontext. Ich bin überzeugt, dass wir auch auf die anstehende Energiekrise solide Lösungen entwickeln werden.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was macht ein Stadtoberhaupt in seiner Freizeit – wo es doch heißt: ein Bürgermeister ist immer im Dienst?
(Ober-)Bürgermeister*innen sind auch Menschen und benötigen ihren Ausgleich zur täglichen Arbeit, die in ihrer Vielfalt sehr fordernd sein kann. Persönlich schätze ich die gemeinsame Zeit mit meinem Lebensgefährten, das Zusammenkommen mit meiner Familie und mit Freund*innen. Dort ist man Mensch („Stefan“) und nicht Funktionsträger. Einen guten Ausgleich erlebe ich beim Wandern, Klettersteigen, Krafttraining, Laufen und gemeinsamen Unternehmungen jeglicher Art.
Die Fragen stellte Karl Gutbrod
Modernes Wohnen am Stadtgarten
Foto: Stadt Böblingen/Benjamin Knoblauch
Flugfeld Böblingen/Sindelfingen mit Langem See und Wohnbebauung
Foto: Stadt Böblingen/Benjamin Knoblauch