Skip to main content

Wohnungsbau –
wertig und bezahlbar

Fällt der Begriff „bezahlbarer Wohnungsbau“, denkt man unwillkürlich an Schuhschachtelarchitektur, die sich nur durch die Anzahl der Öffnungen unterscheidet, oder an den Plattenbau der 60er-Jahre. Triste Orte, die langfristig Frustration und Aggression bei den Bewohnern erzeugen. Was nicht überrascht. Dass es auch anders und verblüffend attraktiv geht, das wiederum überrascht – manchen. Fünf Beispiele aus der Region zeigen dies, jedes auf seine Art.

 

Beispiel Scharnhauser Park
In Ostfildern am Scharnhauser Park schließt sich die letzte großflächige Baulücke. Dort baut die Hofkammer des Hauses Württemberg mit dem Architekturbüro Frank Ludwig GmbH, Stuttgart, vier Gebäude mit insgesamt 145 bezahlbaren Wohnungen.
Ausgegangen wurde von den klassischen Prinzipien wie geschlossene oder offene Blockrandbebauung. Beispielhaft jedoch ist das Ziel der Projekt-Entwicklung, nämlich Baumasse in Einzelbaukörper zu konzentrieren. So entsteht Platz für wertvollen, erlebbaren Außenraum. Die Baukörper haben für ihre Größe eine relativ normale Wohnraumdichte, mit drei bzw. zwei Treppenhäusern. Viel Zeit wurde in die Planungsphase investiert, erklärt Peter Laustetter, von der Hofkammer des Hauses Württemberg, denn hier steckt das größte Potenzial für Optimierungen, was sich letztendlich auf die Baukosten positiv auswirkt. Es wurde an allen Komponenten gefeilt, viel mit und an dem Projekt gearbeitet, ein „Geht-schon-auch“ gab es nicht.
Durch das Versetzen der vier Baukörper öffnet und verjüngt sich der Außenraum, es ergeben sich neue, maßstäbliche, private oder halböffentliche Freiräume. Dies ermöglicht fließende, verbindende Räume nach innen und außen.
Für die Bewohner ergeben sich neue maßstäblich private und halböffentliche Räume. Es entsteht eine Vernetzung und Erlebbarkeit auch mit der bereits langläufigen Landschaftstreppe.
Die Baukörper haben eine gemeinsame Sprache, sind aber nicht gleich, weder in der Größe noch in der Fassade. Man kann „atmen“ und es ergeben sich baulich individuelle Abschnitte. Durch die Auflösung in einen Hauptbaukörper und einen Nebenbaukörper (Pavillon) wird die Baumasse gegliedert. Die Fassaden sind durch die unterschiedlichen Grundrisse abwechslungsreich. Die Baukörper sind in ihrer Größe maßstäblich zur Grundstücksgröße, aber sicher nicht klein. Dies ermöglicht liegende Proportionen und unterstützt das „Fließen“ des Außenraumes über das gesamte Areal. Die Geste der durchlaufenden Balkone unterstreicht die Großzügigkeit der Bebauung. Ebenso unterstützt sie die „elegante“ Horizontalität der Gebäude und das fließende Grün der umliegenden Landschaft. Eine besondere Qualität ergibt sich durch die zurückgesetzte Baulinie gemäß den städtebaulichen Vorgaben. Es entsteht eine erlebbare Grünzone – Puffer zwischen Straße und Grenze.

Das Außergewöhnliche und Besondere der noch im Bau befindlichen Gebäude bezeugt die Neugierde der Anwohner: Immer wieder wird die Frage gestellt, ob daraus neue Wohnungen entstehen. Oft wird gemutmaßt, eine IT-Firma oder eine Forschungslabor würde sich hier niederlassen.

Mietinteressenten finden unter www.haeuser-im-park.de nähere Informationen.

Wohnprojekt „Häuser im Park“ in Ostfildern, Scharnhauser Park, der Hofkammer des Hauses Württemberg. Das Architekturbüro Frank Ludwig GmbH, Stuttgart, konzentrierte die Baumasse in Einzelbaukörper und versetzte diese im Entwurf zueinander. Durch das Versetzen der Baukörper öffnet und verjüngt sich der Außenraum, wodurch sich angenehme und gut proportionierte
Freiräume ergeben.

Fotos/Illustration: AB Ludwig

 

Ludwigsburg, Muldenäcker.
Im knapp 3.600 Quadratmeter großen Baugebiet Muldenäcker wurden von der Wüstenrot Haus- und Städtebau GmbH (WHS) 42 hochwertige und bezahlbare Mietwohnungen in zwei Baukörpern geschaffen – und zwar in bester Lage, im Stadtteil Pflugfelden, einer grünen Oase inmitten der Stadt. Seit Juni 2020 sind alle 44 Wohnungen vermietet – 17 davon preis- und belegungsgebunden nach dem Landeswohnraumförderungsprogramm für geförderten Wohnungsbau.

Die Gebäude sind als KfW-Effizienzhaus 55 zertifiziert und verbrauchen damit kostenschonend sowie umweltfreundlich 45 Prozent weniger Energie als ein konventioneller Neubau. Mieterstrom mittels Photovoltaik-Module auf den Dächern, nachhaltige Wärmeerzeugung und eine hochgedämmte Fassade gehören dabei ebenso zum Energiekonzept, wie die Lade-Infrastruktur für Elektroautos in der Tiefgarage, in der jede Wohnung einen eigenen Stellplatz hat.
„Neben einer guten Energiebilanz war es uns wichtig, die Gebäude zeitgemäß, ressourcenschonend und bauklimatisch wertvoll zu erbauen“, sagt WHS-Geschäftsführer Marcus Ziemer. „Außerdem wurde der Neubau technisch so ausgerüstet, dass eine digitale Hausverwaltung möglich ist. In Kombination mit einer Paketstation im Innenhof entstand so ein modernes, zukunftsfähiges Wohnquartier, das seinen Bewohnern alle Annehmlichkeiten bietet.“

Durch kompakte Baukörper blieben auf dem Grundstück weitläufige Außenanlagen erhalten. Zusammen mit großzügigen Terrassen- und Balkonbereichen auf den Geschossen sowie einer Wohnorientierung nach Süden, Osten und Westen ergibt sich eine hohe Aufenthaltsqualität des Ensembles. Bäume entlang der Straße und auf den nicht durch die Tiefgarage unterbauten Bereichen sowie begrünte Flachdächer bilden eine grüne Oase mitten in der Stadt.

2020 wurde das Bauprojekt „Muldenäcker“ dafür mit dem FIABCI Prix d’Excellence Official Selection ausgezeichnet.

Visualisierung: Wüstenrot Haus- und Städtebau GmbH

 

Interkulturelles Mehrgenerationenwohnen in Schwäbisch Gmünd
Die Herausforderung beim „Quartier Hoffnungsblick“ in Schwäbisch Gmünd bestand darin, einen Ort zu schaffen,
an dem ein lebendiges Miteinander von Senioren, Paaren, jungen Familien und Geflüchteten in flexiblen Wohnformen und bezahlbarem Wohnraum stattfinden kann. Die sechs Gebäude bilden mit geschwungenen Balkonen und runden Gebäude-Ecken eine ausdrucksstarke gestalterische Einheit und beinhaltet gleichzeitig durch unterschiedliche Konstruktion und Materialität eine Vielfalt an Wohnformen.
Das seniorengerechte Wohnen in konventioneller Massivkonstruktion mit Putzfassade bietet 21 barrierefreie und rollstuhlgerechte Wohnungen. Die übrigen vier Häuser sind in nachhaltiger, vorgefertigter Holzbauweise konstruiert. Bauherrin ist die Hoffnungsträger Stiftung. Hoffnungshäuser sind serielle Wohngebäude in innovativer, nachhaltiger Holzbauweise mit hohem Vorfertigungsgrad. Seit 2017 entwickeln andOFFICE Architekten für die Hoffnungsträger Stiftung Häuser in einem modularen Baukasten-System für verschiedene Standorte in Baden-Württemberg. 2021 sind bereits 22 Gebäude fertiggestellt, weitere sind im Bau oder in Planung.

Die Hoffnungshäuser werden komplett standortunabhängig unter Einsatz innovativer digitaler Techniken entwickelt. Entwurf, Planung und Vorfertigung erfolgen BIM-basiert. Durch die Vereinfachung im Baukastensystem kann eine Vorfertigung standortunabhängig erfolgen und auf Halde produziert werden. Durch diese Wiederholung lassen sich bezahlbarer Wohnungsbau von außerordentlicher architektonischer und baukonstruktiver Qualität mit niedrigen Baukosten vereinen. Zur Realisierung unterschiedlicher Gebäudegrößen werden dabei wenige Elementmodule nach einem klaren Prinzip kombiniert. Dabei erlauben Gebäudelängen von 12 bis 24 m eine wirtschaftliche Ausnutzung bei unterschiedlicher Grundstücksgrößen und -proportionen.
Ausgangspunkt für die Entwicklung war die Flüchtlingskrise 2015 und das Ziel, Raum für integratives Wohnen zu schaffen. Durch die flexiblen Grundrisse sind die Hoffnungshäuser jedoch für viele unterschiedliche Gruppen nutzbar.

Die großzügig geschwungenen Balkone erzeugen eine angenehme fließende Raumoptik und bilden das Gesicht der Gebäude. Durch die computergestütze Fertigung lässt sich die Fassadenoptik ohne nennenswerten Mehraufwand umsetzen. Eine vertikale Holzleistenfassade mit unterschiedlichen Leistenabständen strukturiert die Fassade in horizontale Bänder, welche Gebäude und Balkone kontinuierlich umspielen. Flächenbündige Blendrahmen aus zementgebundener Spanplatte um die Fenster betonen das unregelmäßige Fassadenspiel und bilden gleichzeitig einen Brandriegel aus zementgebundener Spanplatte.

Das Innere der Gebäude ist geprägt durch „ehrliche“ Materialien: Konstruktive Holzoberflächen werden ohne zusätzliche Ausbauschritte gezeigt und erzeugen ein angenehm warmes Raumgefühl bei gleichzeitiger Kosteneinsparung. Die Untersichten der BSP-Massivdecken und OSB-Oberflächen der Holzständerwände bleiben sichtbar, der Estrich ist lediglich klar versiegelt.
Die Gebäude sind als Zwei- und Dreispänner mit innenliegendem Treppenhaus organisiert. Zentrales Element jeder Wohnung ist eine großzügige Wohnküche, Verkehrsflächen wurden zugunsten nutzbarer Wohnfläche minimiert. Eine Minimierung tragender Innenwände ermöglicht eine einfache Modifikation des Grundrisses im Lebenszyklus für wechselnde Nutzergruppen.
In Schwäbisch Gmünd sollten die Nutzergruppe aus Einheimischen und Geflüchteten aufgrund der Projektgröße erweitert und so ein Modellprojekt für eine vielfältige Willkommensgesellschaft geschaffen werden.
Mit der Wohnanlage in Schwäbisch Gmünd entfalten sich zwei Programme parallel: Einerseits integratives Wohnen von Einheimischen und Geflüchteten, andererseits Mehrgenerationenwohnen durch die Ergänzung von seniorengerechten Wohnungen für Menschen, die ihre Wohnsituation vorausschauend ihrer Zukunft anpassen und sich in eine lebendige Quartiersgemeinschaft einbringen möchten.
Vielfältige Angebote und Strukturen unterstützen ein gemeinschaftliches aktives Leben. So befindet sich zwischen zwei Gebäuden eine transparente, verglaste Fuge, die auf vier Geschossen gemeinschaftliche Nutzungen wie ein internes Café, Seminarräume und eine Lounge beinhaltet. Ein Großteil der Wohnungen ist als geförderter Wohnraum errichtet und leistet damit einen wertvollen Beitrag zu bezahlbarem Wohnraum.

Das Wohnprojekt wurde mit dem Polis Award 2021 in der Kategorie Soziale Quartiersentwicklung und dem FIABCI Prix d’Excellence Award 2020 ausgezeichnet.

Integratives Wohnkonzept mit Mehrgenerationenhaus im Schwäbisch Gmünd. „Fließende“, großzügige Balkone im „Quartier Hoffnungsblick“ in Schwäbisch Gmünd prägen die Architektur.

Fotos: David Franck (Bild 1–4); Philip Kottlorz (Bild 5)

 

Beispiel TRIQBRIQ – Bauen im Lego-Prinzip
In Stuttgart ist ein Gebäude geplant das im Lego-Prinzip ebenfalls auf vorgefertigte Bauteile setzt. Der Unternehmer Max Wörner baut auf seine patentierten Massivholzsteine („TRIQBRIQ“). Das TRIQBRIQ-System besteht aus einzelnen Holzbausteinen, die aus Schwach- und Schadholz hergestellt werden. Holz aus einheimischen Wäldern, das aufgrund der Hitzeperioden der letzten Jahre und des damit einhergehenden Borkenkäferbefalls im Überfluss vorhanden ist. Schwach- und Schadholz – oft auch Kalamitätsholz genannt – ist im Einkauf sehr günstig, besitzt jedoch die gleichen statischen Eigenschaften wie Sägeholz.

Die TRIQBRIQs werden mit Holzdübeln im Lego-Prinzip miteinander verbunden. Da die Teile vorproduziert und einfach zu verarbeiten sind, verkürzt sich die Bauzeit. Dies und die geringen Materialpreise erlauben den Bau von qualitativen, wertigen Gebäuden bei bezahlbarem Wohnraum. Die nachhaltige Energieversorgung tut ihres dazu. Das Gebäude wird vollkommen klimaneutral sein. Durch das TRIQBRIQ-System kann es am Ende wieder sortenrein rückgebaut werden, um dann an einem anderen Ort, in einer anderen Architektur wiederverwendet zu werden. Als weitere Baustoffe finden Hanf, Kork, Kautschuk und ähnliche nachhaltige Produkte Verwendung, die allesamt recycelbar sind.

Geplantes Wohnhaus in Stuttgart im Lego-Prinzip mit TRIQBRIQs; Doppel- und Einzel-TRIQBRIQ

Visualisierung: Triq Gmbh

 

Fazit
So unterschiedlich die einzelnen Beispiele sind, zeigen sie doch eines: Letztendlich wird der Mangel an bezahlbaren und wertigen Wohnraum nicht gelöst durch starres Festhalten an Gewohntem und schlichter Architektur. Wie so oft sind es Motivation, gepaart mit einer Idee und Mut, was zu Lösungen führt. Das können neue Techniken oder Materialien sein, aber auch bereits Bekanntes konsequent zu Ende denken und führen.
Bedenkt man die sozialen Folgen von Gettoisierungen, so ist langfristig gesehen ambitionierter Wohnungsbau die wirtschaftlich bessere Alternative, zumal wenn es eine Frage des „wollen“ ist.

© Autor: Klaus Bossert